Espantor

Roland Manz

Wer sich das Espan-Tor mit seinem Turm genauer anschaut wird schnell erkennen, dass das Bauwerk aus zwei Bauelementen besteht und wahrscheinlich aus zwei verschiedenen Zeitepochen stammt. Mancher hat sich auch schon gewundert, dass durch dieses Tor kein Verkehrs- oder Handelsweg nach außen zu einer entfernten Stadt führt, mit der man auch schon zu früheren Zeiten hätte Handel treiben können. Daher stellt sich die Frage nach der Notwendigkeit eines solchen Tores mit seinem Wehrturm und welche Funktionen hatten Tor und Turm.

Das Espan-Tor stammt aus der Gründerzeit der Stadt 1171

Das Espan-Tor ist schon bei der Planung zur Isnyer Stadtanlage im Jahre 1171 durch den herrschenden Grafen Wolfrad von Veringen mit dieser Position und an diesem Ort festgelegt worden. Die Stadtanlage wurde mit den damals im 12. Jh. üblichen Methoden und Grundsätzen [1] geometrisch vermessen und die Bauausführung wurde nach und nach umgesetzt. In der Zeit zwischen den Jahren 1030 und 1348 kommt es geradezu zu einer Explosion des Städtebaus und es entstehen in Deutschland ungefähr 3000 neue Städte[1]. Die Isnyer Stadtplanung von 1171 lässt sich auch heute noch genau nachvollziehen und vermessungstechnisch leicht beweisen, denn in der historischen Altstadt ergibt sich aufgrund der bestehenden Bauwerke, wie sie im 19. Jh. neuzeitlich vermessen wurden und zum größten Teil auch heute noch bestehen, ein geometrischer Verbund. Ausgehend vom Wassertor, über das Bergtor, das zwar abgebrochen wurde aber noch rechtzeitig 1826 nach modernen wissenschaftlichen Vermessungsmethoden genau [2] aufgemessen wurde, dann weiter zum Espantor ergibt es ein exakt gleichseitiges Dreieck (alle drei Seiten sind gleich lang) mit je 1000 Isnyer Fuß Seitenlänge (333,33m). Siehe dazu auch Esslingen und Freiburg [1]. Darüber hinaus – eine weitere Besonderheit – ist die Dreiecksseite „Wassertor – Bergtor“ genau nach Norden orientiert. Diese astronomische Ausrichtung wurde sicherlich auch nicht ohne Grund so geplant. Die heute noch vorhandenen technischen Festlegungen der geometrischen Stadt-Planung, die aus dem Jahr 1171 stammen, und deren bauliche Umsetzung kann kein Zufall sein und geben dadurch ein Zeugnis für die frühe Stadtplanung. Der allgemeine Beschluss zur Markt- und Stadtwerdung ist in der Klosterchronik beschrieben [3]. Auch wurde mitgeteilt, dass vor dem planmäßigen Ausbau das Dorf Isny schon vorhanden war. Das Siedlungszentrum bestand nach heutiger Sicht aus zwei Dorfteilen, dem ehemaligen Stadtteil Wösch  und dem Klosterbezirk. Das 4. Stadttor, das inzwischen abgebrochene Obertor, wurde vom Marktplatz aus gesehen in Richtung Wintersonnwende festgelegt.

Bild 1 – Roland Manz: Geometrie zur Stadtgründung 1169 – 1171. Mit gleichseitigem Dreieck, Wintersonnwende, Gründungsachse und Straßenfestlegungen.

Tor und Turm bestehen aus zwei Bauelementen

Bei genauer Betrachtung ist das gut erhaltene Tor – ohne den Turm – mit dem Durchgang durch die Stadtmauer als eigenständiges Bauelement gut zu erkennen. Der Durchgang des Tores wird durch einen Halbkreisbogen und nicht mit einen Spitzbogen gebildet, so wie sie auch in den älteren Toren: dem Wasser-Tor, dem Vieh-Tor und auf den Bildern des Berg-Tores vorhanden sind. Bekannt sind darüber hinaus  auch genaue Daten zum Isnyer Stadtmauerbau die an zwei Stellen beschrieben und festgestellt worden sind: In der Nähe des Wassertors wurde bei Bauarbeiten an der Stadtmauer ein auswertbares historisches  Holzbrett gefunden und dieses wurde auch dendrochronologisch untersucht. Als Ergebnis der Altersbestimmung kam das Jahr 1378 heraus und dieses Jahr ist identisch mit einem Bericht aus der Klosterchronik [4]. Daher kann angenommen werden, dass das Espan-Tor als einfaches Einlassbauwerk zusammen mit der Stadtmauer in dieser Zeit erbaut wurde. Das „Eschpan Tor“ wird erstmals 1413 im „älteren Stadtrecht“ [5] urkundlich, jedoch nur beiläufig, erwähnt.

Bild 2 – Roland Manz: Die verschiedenen Baukörperteile des Espantor.

Erst später wurde dann der prächtig anzusehende Wehrturm an das Tor angedockt, weil vermutlich die allgemeine Sicherheitslage der Freien Reichsstadt den Bau dieses Turms als Beobachtungs- und Verteidigungsposten erforderlich machte. Eigentlich boten die Wiesen des vorgelagerten Rotmoos mit seinen vielen Gräben und Gewässern der Isnyer Ach genügend Schutz gegen heranrückende Feinde, aber zur Beobachtung und Verteidigung des Torzugangs und den beidseitig angrenzenden Stadtmauerabschnitten war der Turm wohl notwendig. Eine weitere Besonderheit ist die Fensteröffnung im 4. Obergeschoss nach Richtung Norden zur Stadtmauer hin. Besucher von Kunstausstellungen in der „Städtischen Galerie im Turm (Espantor)“ erkennen sofort die stark nach links verschobene und gedrehte Laibung des Fensters, die wohl, in gerader Linie, zur besseren Verteidigung der Stadtmauer mit Schusswaffen in dieser Weise so ausgebaut wurde.

Bild 3 – Roland Manz: Laibung eines Fensters im 4. OG mit Aufweitung zur Verteidigung der anschließenden Stadtmauer.

Das Fenster zeigt den wehrhaften Charakter der Öffnung. Der Turm ist an einem Bruchpunkt der Stadtmauer gelegen und konnte somit beide angrenzenden Stadtmauerabschnitte voll im Visier haben. In der Chronik Weberbeck [6] wird berichtet, dass der Bau des Turms 1467 beendet wurde und dieses Datum passt, zusammen mit dem Bau des Diebsturmes zwischen 1429 und 1449 sehr gut in den zeitlichen Geschichtsablauf und der Einführung der Feuerwaffen. Der interessante Turm des Espantors weist noch einige andere Besonderheiten aus. Betrachten wir den Zugang des Turms von außen, hält er sich an eine uralte Baumeister-Regeln wie sie schon Vitruv [1.Buch, 5.Kap.] in seinen Schriften um 30 vor Chr. beschrieben hat: Es soll kein direkter frontaler Zugang zum Tor möglich sein, daher soll er nach links verschwenkt werden um auch angreifende feindliche Kämpfer bei einem Angriff an ihrer ungeschützten Seite wirkungsvoller bekämpfen zu können;  denn der mittelalterliche Kämpfer führte ja hauptsächlich in der linken Hand seinen Schutzschild[7]. Um diese ca. 17° Richtungs-Verschwenkung, der zur besseren strategisch Verteidigung des Tors nach Vitruv bautechnisch umsetzen zu können, ist der Turm eben mit einem besonderen Grundriss als Trapez angelegt worden. Die ungewöhnliche Form des Turmes ist in der  südlichen Schmalseite um 1,55 m kürzer als auf der nördlichen Turmseite. Aus diesem Grund können auch, aus Richtung Mühl Turm gesehen (im Abstand größer 40m) auf einen Blick alle vier Turmecken gesehen werden. Ein weiterer Vorteil dieser verschwenkten Auffahrt zum Turm ist wohl auch die um 1 % geringere Steigung gegenüber einem direkten, frontalen Zugang. Dies erleichterte besonders die Zufahrt für Fuhrwerke mit der Heuernte zur Winterfütterung aus den Wiesenflächen des Rotmooses in die Stadt. Der von außen sichtbare Bogen des Turmdurchgangs ist mit einem Spitzbogen versehen und steht damit im Gegensatz zum Halbkreisbogen des Tordurchgangs – des älteren Bauelements. Dies passt auch zur baugeschichtlichen Entwicklung des Bauwerks.

Bild 4 – Roland Manz: Ansicht von der Stadt aus.
Bild 5 – Roland Manz: Tordurchgang mit Rundbogen.
Bild 6 – Roland Manz: Turm-Durchgang mit Spitzbogen.

Der Dachreiter des Turms

Die Alarm- und Signalglocke im Dachreiter des Turms ist die älteste noch erhalten gebliebene Glocke in Isny, denn das ganze Viertel um das Espantor ist ja beim großen Stadtbrand von 1631 verschont geblieben. Sie wurde 1596 vom Glockengießer Hans Frei aus Kempten gegossen. [8]

Bild 7 – Erhard Bolender: Dachreiter auf dem Turm des Espantors mit Glocke.

 

Bild 8 – Erhard Bolender: Älteste Glocke in Isny– 1596.

Der mittelalterliche Espan war namensgebend

Dass das Tor kein sonst übliches Stadttor für Verkehrs- und Handelswege darstellt, zeigt schon sein Name „Espantor“. Es führt in den mittelalterlichen Espan, zu einem Gebiet das für Isny ein wichtiger Wirtschaftszweig für Viehwirtschaft und Wiesenwässerung war. Die Hauptnahrungsquelle der Bevölkerung war ja die Ackerwirtschaft für Getreide in den drei Eschen in denen der jeweilige, aber abwechselnde Zwang der Dreifelderwirtschaft galt. Ausgenommen waren nur die besonders befreiten Wiesen für das Weidevieh und die Heuwirtschaft – der/das Espan. Das Wort setzt sich zusammen aus „Es“ für Esch, was den Frucht-Anbauzwang in der Dreifelderwirtschaft bedeutet und das Wort „Pan“ für Pann, bzw. bannen, was verbannen oder verboten bedeutet. Damit waren diese Espan-Flächen für die Ackerbebauung ausgenommen d.h. verboten  und nur für die städtische und klösterliche Viehzucht als Wiesen und zur Heunutzung vorgesehen aber auch für städtische Feste, wie das bis heute beliebte Kinderfest auf dem Rain. Ein hoher Viehanteil war für die Gewinnung von Acker-Dünger wie Mist und Jauche aber auch zur Fleischversorgung wichtig. Denn der hohe Anteil der Handwerkerbevölkerung, besonders der Weber, Schmiede, Bäcker und Gerber war für den wirtschaftlichen Aufschwung in Isny von entscheidender Bedeutung. Die doch sehr große städtische Viehherde betrug im 18. Jh. ca. 500- 600 Tiere [9] welche an Weidetagen durch einen Viehhirten auf speziell vorgegebenen Trieben auf städtischem Territorium oft auch im Gebiet der Wiesenwässerung zwischen Boden und Neutrauchburg getrieben wurden.

Der Espan (auch Eschpan, Eschbann) ist ein süddeutscher (bairisch-alemannisch-mittelfränkischer) Flurname und bezeichnet ursprünglich ein freies, nicht eingezäuntes Stück Weideland, das der Gemeinde gehört und meistens in der Nähe des Dorfes liegt. Lt. Deutschem Rechtswörterbuch taucht der Begriff zum ersten Mal ab 1157 auf.

Nachweise

[1] Humpert, Klaus; Schenk, Martin: Entdeckung der mittelalterlichen Stadtplanung. S.58,94, 132ff .

[2] Die Messgenauigkeit beträgt ½ Fuß das entspricht ca. 15 cm.

[3] Chronik des Klosters St. Georg zu Isny. Übersetz. von Georg Schmid (1864):Edition Isele 2017 [S) 18,20(].

[4] Chronik des Klosters St. Georg zu Isny. Übersetzung von Georg Schmid (1864): Edition Isele 2017 [S.)80(].

[5] Karl Otto Müller: Die älteren Stadtrechte von Leutkirch u. Isny. Art. 189f.

[6] Chronik Weberbeck: Druck Andreas Stoffel, Lindau 1822. S.27, Anmerk.

https://books.google.de/books/about/Sammlung_denkw%C3%BCrdigster_Begebenheiten_d.html?id=EydhAAAAcAAJ&redir_esc=y

[7] Vitruv: 1.Buch, 5.Kap.: Übersetzung C. Fensterbusch: Vitruv; 10 Bücher ü. Architektur. 1991. S.55.

[8] Johann Heinrich Specht: Isnisches Denkmal 1750. S.145.

[9] Hauptmeyer, Carl-Hans: Verfassung und Herrschaft in Isny.S.206.